Für dieses Projekt geben wir ein Statement des engagierten Bauherrn in ungekürzter Form weiter:
Calcina-Statement
Wo ist der Kalk in historischen Städten geblieben?
Einzige gekalkte Fassade in der Zürcher Altstatt?
Mit Freuden durften wir im Zürcher Niederdorf unsere historische Fassade renovieren.
Der Fassadenanstrich wurde in Sumpfkalk-Seccotechnik, die Leibungen mit Standölfarbe und Ölspachtel ausgeführt.
Während der Arbeit erklärte uns ein Calcina-Mitglied, das gleich im Haus nebenan wohnt, dass das wohl die einzige gekalkte Fassade in der Zürcher Altstadt sei… Das wollten wir genau wissen, denn es schien uns absolut unmöglich, waren doch bis vor wenigen Jahrzehnten alle Häuser der Altstadt immer und ausschliesslich gekalkt.
Aber tatsächlich :
Ausser drei Häuser, die langsam am Zerfallen sind und bei denen seit achtzig oder hundert Jahren (?) nichts mehr gemacht wurde sowie ein künstlerisch mit Sgraffito gestaltetes Haus auf der linken Flussseite fanden wir kein „normales“ und schon gar kein neuerlich gekalktes Haus.
Die Zürcher Altstadt ist durchplastifiziert: Alte ehrwürdige Bauten aus Stein und Kalkmörtel, Holzständern oder Fachwerken, zeugend von einer reichen Geschichte, kann man hinter homogen sterilen Farbschichten aus synthetischen Bindemitteln, titanversetzten, objektfremden Farbstoffen nur noch vermuten..
Das ist doch sehr erstaunlich und lässt Fragen aufkommen zur Rolle der Denkmalpflege und des Heimatschutzes.
Und es ist auch bedauerlich, denn man verschenkt sich damit so viel Schönheit, den ganzen Charme des Echten oder eben das, was eine Altstadt ausmacht, reizvoll macht und wofür Touristen so gerne um die halbe Welt reisen – in ferne Städte, in denen es diesen Charme noch gibt.
So wirkt die Stadt heute entfremdet, eine Art Disneyland und niemand scheint sich daran zu stören oder das gar zu bemerken, wie sollte man auch: Wenn alle Häuser homogen langweilig sind, denkt jeder, das müsse wohl so sein oder Häuser seien einfach so.
Aber das muss es nicht! Gerade historische Häuser waren alles andere als langweilig und eintönig. Was die oben erwähnten Touristen in Städten wie Siena oder Venedig so schätzen, ist in solchen Tourismusgeneratoren bewusst realisierter Mehrwert.
Doch wie unser Beispiel an der Stüssihofstatt zeigt, kann man diese Qualitäten auch hier realisieren und ich hoffe sehr, dass es Schule machen wird, der Aufwand ist vertretbar. Diesen Charme sollten wir nicht ein paar wenigen Cleveren überlassen, den sollen wir hier, bei uns genauso geniessen können.
Sicher, das Handwerk stellt hohe Anforderungen, das konnte man gerade erleben: Man muss den Kalk kennen, muss Antworten bereit haben, wenn es mal nicht auf Anhieb geht, muss wissen, wie die Materialien reagieren, muss Wetter und Temperaturen stets im Auge behalten, muss wissen, wann man nachfeuchten muss und oder wenn das Ganze zu nass ist und verglast, muss wissen, dass man jeden Pinselstrich sieht, man muss ruhig und konzentriert in einem Team arbeiten können… Aber gerade das ist es, was dieses lebendige Bild so wertvoll, so eigen macht, was den Gebäuden Charakter und Kraft gibt und dem Handwerk die Seele zurückbringt. Ohne echtes Engagement kann ich mir diese Arbeiten nicht vorstellen.
Dass das Ganze auch noch ausgesprochen umweltfreundlich ist, müsste die Nachfrage eigentlich explodieren lassen, Kalkverputze und Farben gelten, im Unterschied zu konventionellen, als rein mineralisch und sind im Entsorgungsfall kein Sondermüll! So lasst uns doch diese Plastikverpackungen, die, nicht anders als die der Lebensmittel, unsere Umwelt belasten (Mikroplastik), endlich eliminieren, zum Wohle aller. In einer umweltgerechten, menschengerechten, zukünftigen Welt haben sie nichts verloren.
Und letztlich hat man auch seinem Haus etwas Gutes getan, denn die alten Kalkmörtel ersticken unter den synthetischen Filmen, werden mürbe und zerfallen. Selbst wenn die Farben nur einen geringen Anteil an synthetischen Bindemitteln enthalten, werden die Oberflächen nach ein paar Anstrichen davon zu dicht.
Sicher, es wird da und dort mal einen dunkeln Salzflecken geben, aber wenn man das Lebendige nimmt, so soll man damit leben – es ist so viel schöner als das, was wir heute sehen.
Stephan Wydler, Bauherr sowie Calcina-Mitglied
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4. Juni 2020